Evangelische Kirchengemeinde Zur Heimat
  23.4.2024 · 9:47 Uhr
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Predigten
 
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Karfreitag, 6.4.2012, 11.00 Hebräer 9,15.26b–28
ER hält uns aus
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!.
Jedes mal wieder ist es ein weiter Weg am Karfreitag, liebe Gemeinde: Sich diesem sperrigen Tag zu nähern, seinen Ereignissen: Das Ende, die Katastrophe, der Tod. Und doch dabei immer auch das Grundlegende, alles Ändernde: Versöhnung, Leben, Hoffnung. Den Blick fest auf das Böse und Tödliche geheftet – und doch zugleich genau dort den Keim des Lebens zu suchen.
Das Kreuz Jesu Christi war und ist das große Fragezeichen hinter seinem Leben und Werk. Das Kreuz redet von Vergeblichkeit und betrogenen Hoffnungen, es straft all die Gewissheit und den Mut Jesu lügen, seine eigene Gegenwart als Gottesgegenwart zu verstehen zu geben. Er, der für Gott eintrat wie kein anderer, entschlossen nicht ins Irgendwann verwies, sondern: Hier, jetzt! er stirbt am Ende mit dem Schrei der Hilflosigkeit und Verzweiflung: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Weil Gott ihn verlassen hat! Sicher, auch daraus ist Tiefsinn zu saugen, dass er an dieser Stelle überhaupt noch schreit, seinen Gott nicht loslässt: Mein Gott bleibt er! Die Arbeitshypothese seines Lebens soll ihm keiner nehmen, nicht einmal dieser sein Gott selbst. Nicht dumpfes Aufgeben und Versinken-Lassen, sondern heldenhafter Protest im Untergang.
Aber wir kennen ja Lebensgeschichten zur Genüge, die das Siegel ihrer Fehler mit sich herumtragen: Entscheidungen, die nun einmal so fielen und den Lebensweg ausmachten, mitmachen, wo alle Hosianna schreien, zusehen, wo mir ein Platz zugewiesen wird in einer geprägten Gesellschaft, die geforderten Bücklinge vor den Verhältnissen und den Mächtigen, das Abschwören gegenüber allen Ansprüchen – eben die Kompromisse, die gefordert sind – und dann kommt alles ganz anders, das System zerfällt in ein Nichts, dem alle Verbeugungen galten, vom Leben bleibt ein Gerippe übrig, nichts gilt mehr. Der große Verrat der Geschichte, die doch in Gesetzmäßigkeiten eingebunden galt. „Ich habe mich Menschen gebeugt, die sich als Kleingeister erwiesen, mein Leben auf die falsche Ewigkeit verwendet.“ Welcher Mensch hält schon das Scheitern aus? Lieber verzweifelter Protest, als zu viel fragen und sich in Frage stellen zu lassen. Ist Jesu Todesschrei solch ein verzweifelter, trotziger Protest? Festhalten auf Biegen und Brechen, weil anderenfalls mir alles entschwindet, auch ich mir selbst, mit allem, was ich war und für richtig hielt?
Es ist gut nachvollziehbar: Wie sie durch den Wind waren, die Jünger und Anhänger des Meisters, diese drei Tage lang, die ja in Wahrheit nur zwei sind. Alles weg, aus, vorbei. Ein schmähliches Ende. Sein Ende. Und auch aller großen Hoffnungen und aller sich darauf beziehenden Lebensentwürfe. Es ist nur allzu verständlich, dass sie eine Kirche gründen, weitermachen, dass sie einen Weg finden, umzudeuten.
Nein, das ist es nicht. Woher diese Kraft? Sie kommt nicht aus der Verzweiflung, aus dem Festklammern und Irgendwie. Woher diese Freiheit, Mut und Entschlossenheit? Ein paar geschickte Strategen nur, kalkulierende Betrüger? Es ist nicht Umdeutung der Verzweifelten – es ist der Einbruch in eine Welt der Fesseln, der die Fesseln des Verstehens löst, es ist der Lichtstrahl, der sich zeigt, als es am dunkelsten ist und sich Finsternis endgültig über das All legen will. Es ist der Anfang, der neue richtige Anfang, wo alles zu Ende scheint. Es ist eben nicht eine bodenlose Verlassenheit, sondern genau dort, am finstersten Ort die Einlösung aller Versprechungen. Der Künder wird selbst zum Mittler, der, der Gott im Munde führt, wird zu Gottes Gegenwart. Wo alles zu versinken droht und sich die Zeit zum Trugbild verwandelt, wird das „Nun erst recht!“ erfahren.
Sicher, der Karfreitag selbst hat diese Kraft nicht. Es gibt nur Andeutungen: Der Hauptmann, Anführer des Exekutionskommandos, spürt da irgendetwas, spricht es aus als Kontrast zu dem was sichtbar ist und demonstriert werden sollte. Aber unser Karfreitag ist nur das, was er geworden ist, weil er nicht ein Endpunkt blieb, sondern weil er in ein Licht getaucht wird, das nicht seines ist. Der Karfreitag selbst ist schwarz. Erst Ostern beleuchtet ihn. Beleuchtet ihn und lässt ganz anderes sehen, als er von sich aus zu sehen gibt. Das ist es dann aber auch ganz schnell und überwältigend: Da, da ist etwas geschehen! Das Kreuz ist kein Kreuz – oder doch, aber ganz anders. Das Kreuz Jesu Christi wird mit den Osterstrahlen zum Mittelpunkt der christlichen Welt, zum Angelpunkt, um den sich alles dreht – zu jenem festen Punkt, mit dem alles ausgehebelt werden kann. Das Kreuz selbst wird zum Signum, zum Erkennungszeichen. Nur ein Paradox: Weil am weitesten weg, darum schon wieder da?
Die Geschichte, die mit den Osterereignissen anhebt und zur Geschichte der Weltchristenheit wird, ist eine Geschichte der Deutungen dessen, was da auf Golgatha geschehen ist. Diese kleine, beiläufige Exekution von unter anderen diesem einen Spinner, einem Spinner, der zugegebenermaßen gefährlich zu werden drohte, der vorsichtshalber weg musste, kurzerhand, diese kleine Begebenheit am Rande der Weltgeschichte, klein, wie es viele, viele kleine Begebenheiten gegeben hat – diese beiläufige Exekution ist das bedeutendste Ereignis der Weltgeschichte geworden. In jedem Fall, unübertroffen, wie immer auch die jeweilige Deutung ausfällt.
Eine dieser Deutungen, die Deutung vielleicht aus dem innersten Zirkel heraus, bekommen wir im Hebräerbrief im 9. Kapitel geboten. Wer immer da schreibt, spät vermutlich, es ist schon die dritte Generation von Osterchristen:
15 Und darum ist er auch der Mittler des neuen Bundes, damit durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen.
26 Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für alle Mal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben.
27 Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht:
28 so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil.
  Hebräer 9,15.26b–28
Es ist Beziehungsarbeit, was der Hohepriester alljährlich auf dem Weg in Allerheiligste des Tempels leistet: den unerreichbaren Gott einmal wieder aussöhnen, die Distanz überwinden, ihn herbeizwingen. Gottes Bejahung sichtbar machen, vollziehen, dem Leben einen neuen Grund legen: Mit dem Opfer, dessen Blut er verwendet. Ein alter Brauch. Wie gesagt: Beziehungsarbeit.
Das Kreuz Christi, dieser absurde Akt der Beseitigung einer Störung, die unsere Alltagsgeschäfte zu verunsichern drohte, dieses Kreuz Christi ist Beziehungsarbeit, so zu sagen: Wo der Kult Gott zu erreichen suchte, da sucht nun Gott uns zu erreichen.
„Seht her, ich lass mich nicht abschrecken von euch, ich halte aus, ich ziehe mich nicht zurück, souverän, wenn ihr zuschlagt. Ich halte aus, stehe das durch, bleibe da bis zum bitteren Ende. Ich lasse nicht zu, dass Eure Abgrenzungsversuche zu ihrem Ziel kommen, ihr werdet mich auch so nicht los. Wenn ihr es mit mir aufgebt, mehr sogar noch: Wenn ihr mich beseitigen wollt, zahle ich nicht gleichermaßen zurück, sondern bleibe da, halte euch aus. Es ist mein Bleiben wie ein große Bitte an euch: Lasst ab! Lasst euch gefallen!“
Da ist kein Gott, der sich gewaltsam Zugang verschafft, in jedem Fall, irgendwie, da ist Gott, der sich demütigen lässt und so unser Gott sein will. Als euer Opfer euer Gott! Die Beziehung, die von der anderen Seite angeboten, geknüpft wird, die von sich aus hinwegschreitet über alle Hindernisse, alle Gräben, auch und gerade dieses größte errichtete Hindernis: diesen Tod, diesen Mord. Das Ende macht aus dem Künder Gottes den, als der uns Gott selbst gegenüber tritt, auf unsere Seite tritt. Versöhnung ist das Stichwort dieses Tages. Versöhnung dort, auch dort, wo niemand sie will, keiner sie sucht. Entgegenkommen, Nachgehen, wo Menschen sich abwenden. Offene Arme, wo wir mit dem Schlimmsten rechnen. Beziehung, wo wir sie nicht herstellen können, im Gegenteil alles tun, um sie zu beenden. Gott lässt sich nicht abschrecken. Gott lässt sich nicht wegdrängeln, weder ins Vergessen noch durch Gewalt und Tod.
Und was immer es da für Bilder und Verstehensversuche gibt: Karfreitag heißt: Gott akzeptiert die Sünde nicht als einmal gegeben, es sei nun einmal so. Gott gesteht es der Sünde nicht zu, Beziehungen zu zerstören, endgültig, weder seine Beziehung zu uns noch dann auch die Beziehungen der Menschen untereinander. Und wenn das Bild des Opfers taugt, wohlan: das für den Widerstand gegen den Triumphzug der Sünde notwendige Opfer ist erbracht, dort, Karfreitag, ein für allemal. Damit da keine Missverständnisse auftreten! Für immer! Kein Grund für irgendetwas, keine Alibis. Sondern: Ein Anfang, neu. Amen.
Und der Friede Gottes, den er uns schenkt, von dem zu leben er uns ermöglicht, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn. Amen
(Pfarrer Hartmut Scheel)